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Keine Angst, das ist keine Partnersuche. Die Gitsch’ ist längst schon hingeschieden. rip.
»Sarnthalerin« Aus dem Buch »Die Sarner Straße in Geschichten und Bildern«, Seite 27 |
Inzwischen bekam Enea durch Vermittlung des Kaisers die Pfarrei im Sarntal, die ihm jährlich 60 Gulden einbrachte. Gelegen in dem Teil der Alpen, der Deutschland von Italien trennt, ist sie nur durch ein einziges, sehr hochgelegenes und steil ansteigendes Tal zugänglich, drei Viertel des Jahres von hohem Schnee und dickem Eis bedeckt. Die Bewohner halten sich den ganzen Winter daheim auf, fertigen mit viel Geschick Kisten und andere Holzgegenstände an, die sie dann im Sommer in Bozen und Trient verkaufen. Sehr viel Zeit vergeuden sie mit Schach und Würfelspielen und sind dabei erstaunlich geschickt. – Über die Sarnerinnen später.
Enea Piccolomini,
1405—1464, hat wohl in seiner Jugend ein wenig geblogt, »commntarii«
geschrieben. Gebildete Leute nutzten damals eutopaübergreifend (statt HTML) Latein. Also waren’s Commentarii rerum memorabilium quae temporibus suis contigerunt – Gedanken
zu denkwürdigen Dingen, die je zu ihrer Zeit passierten. Die schrieb
Enea in den Jahren 1462 und 1463. Wie schon Cäsar in seinen commentarii de bello Gallico es pflegte, erzählt Enea von sich bescheiden in dritter Person.
Veröffentlicht wurden seine Kommentare erst 1584, über ein Jahrhundert nach seinem Tod. Kopiert hat sie ein deutscher Verwandter der Piccolominis in Bonn, Vikar Johannes Gobellino. Der Herausgeber, der Erzbischof von Siena, Francesco Bandini, hat den langen Text zweimal stark »angepasst« und gekürzt, schade. Erst 1984 (bezw. 1883, s.u.) wurden weitere Originalstellen veröffentlicht. Mehr dazu hier.
Das Schärfste war die Behauptung, im Sarntal ginge keine Frau als Jungfrau in die Ehe. Unglaublich! Als Quelle nannte man ein von Luigi Totaro Adolphi 1984 in Mailand herausgegebenes Buch »I commentarii«, ISBN 8845923371, das den Text lateinisch und italienisch übersetzt wiedergibt (etwa hier zu kaufen, hier bei Amazon).
Doch da stand angeblich nur: » … non c’è fanciulla tra loro cha vada sposa.« – ’s ist kein Mädchen unter ihnen, das zur Hohzeit ginge – möglichst wörtlich gesagt. Also nichts mit geschändeten Jungfrauen, nur ene moderne, eher ablehnende Haltung gegen die Ehe.
Da hat mich das Suchfieber dann doch gepackt. Ich suchte nach dem Original. Das muss es doch auch im Internet geben. Nach etlichem Gesuche fand ich den gesamten Text des Buches »Pii Secundi pontificis max. Commentarii rerum memorabilium, quae temporibus suis contigerunt, à R.D. Ioanne Gobellino vicario Bonnen. iamdiu compositi, & à R.P.D. Francisco Band. Picolomineo archiepiscopo Senensi ex vetusto originali recogniti. Et Sanctiss. D.N. Gregorio 13. pont. max. dicati, eiusdem Pij dum cardinalis esset« OCR-gelesen, Google-gesponsert, bei Archive.Org. Es lebe Kalifornien!
Die maschinelle Leserei war allerdings im Gegensatz zum schönen Original, hier links das Titelblatt, saumäßig verstümmelt. Nur mit viel Glück habe ich die Stelle dann gefunden. Hier ein ganz kleiner Ausschnitt zum Selbstentschlüsseln:
Veröffentlicht wurden seine Kommentare erst 1584, über ein Jahrhundert nach seinem Tod. Kopiert hat sie ein deutscher Verwandter der Piccolominis in Bonn, Vikar Johannes Gobellino. Der Herausgeber, der Erzbischof von Siena, Francesco Bandini, hat den langen Text zweimal stark »angepasst« und gekürzt, schade. Erst 1984 (bezw. 1883, s.u.) wurden weitere Originalstellen veröffentlicht. Mehr dazu hier.
Das Schärfste war die Behauptung, im Sarntal ginge keine Frau als Jungfrau in die Ehe. Unglaublich! Als Quelle nannte man ein von Luigi Totaro Adolphi 1984 in Mailand herausgegebenes Buch »I commentarii«, ISBN 8845923371, das den Text lateinisch und italienisch übersetzt wiedergibt (etwa hier zu kaufen, hier bei Amazon).
Doch da stand angeblich nur: » … non c’è fanciulla tra loro cha vada sposa.« – ’s ist kein Mädchen unter ihnen, das zur Hohzeit ginge – möglichst wörtlich gesagt. Also nichts mit geschändeten Jungfrauen, nur ene moderne, eher ablehnende Haltung gegen die Ehe.
Da hat mich das Suchfieber dann doch gepackt. Ich suchte nach dem Original. Das muss es doch auch im Internet geben. Nach etlichem Gesuche fand ich den gesamten Text des Buches »Pii Secundi pontificis max. Commentarii rerum memorabilium, quae temporibus suis contigerunt, à R.D. Ioanne Gobellino vicario Bonnen. iamdiu compositi, & à R.P.D. Francisco Band. Picolomineo archiepiscopo Senensi ex vetusto originali recogniti. Et Sanctiss. D.N. Gregorio 13. pont. max. dicati, eiusdem Pij dum cardinalis esset« OCR-gelesen, Google-gesponsert, bei Archive.Org. Es lebe Kalifornien!
Die maschinelle Leserei war allerdings im Gegensatz zum schönen Original, hier links das Titelblatt, saumäßig verstümmelt. Nur mit viel Glück habe ich die Stelle dann gefunden. Hier ein ganz kleiner Ausschnitt zum Selbstentschlüsseln:
A. ncqtic auri magna fames attcrit:horum opes pccora funt, quaa^^
pcr hiemcm tocao nutriunt , hifq. viuunt : intcr quos & homi-
ncs inuenirc cft,quos nunquam bibifle conftat , quibus pro po-
tueft cibus la£kcus. Qui procul ab ecclclia dcgunt,corpora hic-'
mis tcmpore defunda fubdiuo rcponunt,atquc aftrictagelu ia-
• icftatem fcruant : tunc plebanus parochiam circumicns iongu
funcris ordinem ducit:dicenfq. nouiftima verba , incoemctcriu
pluralimul cadauera recipit , iUi liccis genis cxequias prolc-
quuntur.Fehcillinii mortalium fua li bonacognofcentes,hbidi
ni fr.^cnum ponerent : lcd diu noctuquecommcnfati , ftupra &
adultcria paftim admutunt,neque virgo apud eos nubit. Vcru
hanc eccieiiam Aeneas breui dimifit, mcliorcm aflccutus in Ba
ioaria fanctx Marix Afpaccniis non longe ab Aeno fiuminc»
quam fibi Lconardus Patauicnfis cpifcopus gcncrc, atque ma-
gnificcntia xquc nobihs vltrocontulit : httcrifq. ci finc pretio
ad Stiriam miflis.
Die Stelle mit den Sarner Jungfrauen habe ich fett hervorgehoben, der
entscheidende Satz ist zufällig sogar sauber zu lesen, schon weil keine
Zeichen wie ӕ oder ſ (langes s, leicht mit f zu verwechseln) vorkommen: neque virgo apud eos nubit. Das Schuss-s ist rund. Also stimmte sie doch, die Story mit den lebenslustigen Sarnerinnen:
Keine heiratete als Jungfrau (virgo). Klar war nun auch, dass die Stelle im
ersten Buch der zwölf Bücher zu finden ist. Auf Seite 15, hier und zusammengestellt:
Wie aber erklärt sich Piccolominis krass divergierende Beuteilung der
Sarner – anfangs sehr wohlwollend, dann fast ordinär ablehnend?
»I Commentarii, quindi, sono un’opera affascinante per le variazioni di prospettiva«, sie faszinieren durch die Variationen des Gesichtspunkts, meint Stefan Bauer.Viel ist abgeschrieben, wobei er es mit den Zitaten nicht so genau genommen hat – wie manche Doktoranden heute. »Possiamo valutare Piccolomini, per quanto riguarda questo testo, come un informatore ambivalente – a volte affidabile, altre meno. Commette errori quando descrive eventi sulla base del ricordo personale; inoltre altera la prospettiva di alcune fonti, per convincere i lettori dei suoi argomenti (cfr. l’introduzione di Wagendorfer, cit., pp. XXVII-XXX).« Schon damals: Nicht alles, was geschrieben steht, ist glaubwürdig, non tutte le cose che sono state scritte sono degne di fede.
Weiter meint Bauer: »I Commentarii sono uno dei testi più importanti della letteratura umanistica e costituiscono una fonte di straordinario interesse per la storia italiana ed europea della metà del Quattrocento.« Die Kommentare gehören zu den wichtigsten Texten der humanistischen Literatur. Sie sind eine außerordentlich interessante Quelle für die italienische und europäische Geschichte des fünfzehnten Jahrhunderts.
Böhmen (Boemia) hat ihn besonders interessiert.
Interessant auch der Hinweis auf die zunächst unterdrückten Passagen hier: »Gelehrte zwischen Humanismus und Reformation: Kontexte der ... «, herausgegeben von Martin Wallraff:
Übrigens: Das kleine u mit Überstrich, ū, statt um scheint eine Sparschreibung zu sein. Dazu der Bozner Fachmann Hannes Obermair: »u mit überstrich ist unspezifisch und kürzt eigentlich nur den Nasal, also entweder un oder um, ganz kontextbezogen (ceteru[m] bzw. u[n]de...)« – Danke, Hannes!
Soviel zu päpstlichem Sensationsjournalismus, postfaktisch …
Diese ausführliche Geschichte hatte ich am 4. Dezember 2015 zuerst veröffentlicht, hier:
http://blogabissl.blogspot.com/2015/12/auf-der-suche-nach-den-sarner-jungfrauen.html
Sarantanӕ Vallis deſcriptio, & incolarū [incolarum] mores. Interim Aeneas Sarantanӕ vallis parochialem eccleſiam faurore Cӕſaris affectus est, quӕ aureos ei ſexaginta quotannis reddidit: ſita in alpibus, quӕ Germaniam ab Italia diſterminat. Ea vallis vno [uno] tantum aditu, eoque altisſſimo, & perdifficili, patens niuibus,& aſüerrima glacie tribus anni partibus obtecta rigeſcit. Loci accolӕ totas hiemes domi ſe continent, ciſtas, & quӕ ſunt opera carpentartiorum ſolerter gentes, quӕ per ӕſtatem Bulzani, Tridentiq. [Tridentique] vendunt: ſcaccorum, ac alearum ludo temporis plurimum terunt, illumq. mirum in modum callent: nullos hos belli metus occupat, neque honoris cupido cruciat, neque auri magna fames atterit; horum opes pecora ſunt, quӕ per hiemem foeœno nutriunt, hiſq. viuunt : inter quos & homines inenuire eſt, quos nunquam bibiſſe conſtar, quibus pro potu eſt cibus lecteus. Qui procul ab eccleſia degunt, corpora hiemis tempore defuncta ſub diuo reponunt, atque aſtricta gelu in ӕſtatem feruant : tunc plebanus parochiam circumiens longū funeris ordinem ducit : dicenſ q. nouiſſima verba, in cœmenteriū prura ſimul cadauera recipit, illis ſiccis genis exequias froſequuntur. Feliciſſimi mortalium ſua ſi bona cognoſcentes libidi ni frӕnum ponerent : ſed diu noctuque commenſati, ſtupra & adulteria paſſim admittunt, neque virgo apud eos nubit. Verū hanc eccleſiam Aeneas breui dimiſit, meliorem affecutus [aſſecutus?] in Baioaria ſabctӕ Mariӕ Aſpacenſis non longe ab Aeno flumin, quam ſibi Leonardus Patauienſis epiſopus genere, atque magnificentia ӕque nobilis vltro [ulto] contulit : litteriſq. ei ſine pretio ad Stiriam miſſis. |
Das Sarntal (Sarantanae Vallis) und die Sitten seiner Einwohner Inzwischen bekam Enea durch Vermittlung des Kaisers die Pfarrei im Sarntal, die ihm jährlich sechzig Gulden einbrachte. Gelegen in dem Teil der Alpen, der Deutschland von Italien trennt. Dieses Tal ist nur durch ein einziges, sehr hochgelegenes und steil ansteigendes Tal zugänglich, drei Viertel des Jahres von hohem Schnee und dickem Eis bedeckt. Die Bewohner halten sich den ganzen Winter daheim auf, fertigen mit viel Geschick Kisten und andere Holzgegenstände an, die sie dann im Sommer in Bozen (Bulzani) und Trient (Tridenti) verkaufen. Sehr viel Zeit verbringen sie mit Schach und Würfelspielen, was sie wunderbar spielen. Sie haben keine Angst vor Krieg, kein Ehrgeiz quält sie, und auch von der Geldgier sind sie verschont. Ihr Reichtum sind ihre Herden, die sie im Winter mit Heu nähren und von denen sie leben; man kann hier noch Menschen finden, die noch nie Alkohol getrunken haben: Statt zu trinken verzehren sie Milchprodukte. Diejenigen, die weit weg von der Kirche wohnen, legen die Körper der im Winter Verstorbenen einfach ins Freie und konservieren sie mit der Eiseskälte bis in den Sommer; dann geht der Pfarrer in seiner Pfarrei herum und führt einen langen Leichenzug an, spricht die letzten Worte auf dem Friedhof und beerdigt mehrere gleichzeitig: Das Volk begeht diese Beerdigung trockenen Auges. Sie könnten die glücklichsten der Sterblichen sein, wenn sie ihr Glück erkennen und ihre Gelüste zügeln könnten. So aber geben sie sich Tag und Nacht Vergnügungen hin, frönen Vergewaltigungen und Ehebruch, und kein Mädchen heiratet als Jnngfrau. Enea hat diese Pfarre bald wieder aufgegeben und bekam eine bessere in Bayern, die der heiligen Maria in Aspach, nicht weit vom Inn, die ihm Leonhard, der Passauer (Passauensis) Bischof, ein Mann von edler Abstammung und großartigem Charakter, von sich aus verlieh. Er sandte Enea die Berufung ohne alle Nebenkosten nach Steyr (Stiriam). |
»I Commentarii, quindi, sono un’opera affascinante per le variazioni di prospettiva«, sie faszinieren durch die Variationen des Gesichtspunkts, meint Stefan Bauer.Viel ist abgeschrieben, wobei er es mit den Zitaten nicht so genau genommen hat – wie manche Doktoranden heute. »Possiamo valutare Piccolomini, per quanto riguarda questo testo, come un informatore ambivalente – a volte affidabile, altre meno. Commette errori quando descrive eventi sulla base del ricordo personale; inoltre altera la prospettiva di alcune fonti, per convincere i lettori dei suoi argomenti (cfr. l’introduzione di Wagendorfer, cit., pp. XXVII-XXX).« Schon damals: Nicht alles, was geschrieben steht, ist glaubwürdig, non tutte le cose che sono state scritte sono degne di fede.
Weiter meint Bauer: »I Commentarii sono uno dei testi più importanti della letteratura umanistica e costituiscono una fonte di straordinario interesse per la storia italiana ed europea della metà del Quattrocento.« Die Kommentare gehören zu den wichtigsten Texten der humanistischen Literatur. Sie sind eine außerordentlich interessante Quelle für die italienische und europäische Geschichte des fünfzehnten Jahrhunderts.
Böhmen (Boemia) hat ihn besonders interessiert.
Interessant auch der Hinweis auf die zunächst unterdrückten Passagen hier: »Gelehrte zwischen Humanismus und Reformation: Kontexte der ... «, herausgegeben von Martin Wallraff:
Übrigens: Das kleine u mit Überstrich, ū, statt um scheint eine Sparschreibung zu sein. Dazu der Bozner Fachmann Hannes Obermair: »u mit überstrich ist unspezifisch und kürzt eigentlich nur den Nasal, also entweder un oder um, ganz kontextbezogen (ceteru[m] bzw. u[n]de...)« – Danke, Hannes!
Soviel zu päpstlichem Sensationsjournalismus, postfaktisch …
Diese ausführliche Geschichte hatte ich am 4. Dezember 2015 zuerst veröffentlicht, hier:
http://blogabissl.blogspot.com/2015/12/auf-der-suche-nach-den-sarner-jungfrauen.html
»Sarnthalerin« Aus dem Buch »Die Sarner Straße in Geschichten und Bildern«, Seite 25 |
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